Alle Eltern kennen Streit zwischen ihren Kindern – und zwar so gut, dass sie manchmal am liebsten selbst mitschreien würden. Immerhin schlagen Lärm, Weinen und Hauen ziemlich aufs Gemüt. Außerdem kommen dabei Fragen auf: Wie viel Streit ist eigentlich normal, und mache ich als Elternteil etwas falsch? Wir erklären, wieso die kleinen Hahnenkämpfe wichtig für deine Kinder sind.
Warum Streiten normal ist – und sogar sehr wichtig
Studien geben an, dass Kinder im Schnitt aller zwanzig Minuten miteinander streiten. Je jünger sie sind, desto häufiger kommt das vor. Schon diese Durchschnittszahl zeigt, wie normal Streit eigentlich ist. Denn Kinder brauchen ihn, um sich selbst zu entwickeln. Durch Konflikte und ihre Lösung finden sie zu sich selbst; erkennen, wer sie überhaupt sind.
Zum Einen ist Streit eine nicht zu unterschätzende Quelle für das Selbstwertgefühl deiner Kinder. Hier können sie an direkten Beispielen lernen, dass es immer die Möglichkeit gibt, zu gewinnen oder zu verlieren. Auf der anderen Seite stärken die Konflikte die Sozialkompetenz: Deine Kinder können üben, Kompromisse zu schließen, zu warten oder zu teilen. Durch diese Handlungen verstehen sie, dass ihr Handeln und ihre Worte eine Konsequenz haben.
Vor allem aber geht es beim Streiten darum, die eigenen Bedürfnisse zu verstehen und aufzuzeigen. Mal kann man die eigenen Wünsche durchsetzen, ein andermal funktioniert das aber nicht. Besonders in Situationen, in denen mehrere Kinder miteinander auskommen müssen, zeigt sich dieses Phänomen, denn keines der Kinder will seine Bedürfnisse zurückstellen. Diese Situationen können im Kindergarten passieren, beim Spiel mit Freunden oder – am häufigsten – unter Geschwistern.
Was das Kind beim Streiten lernen kann
Konflikte entstehen aus verschiedenen Gründen. Häufig sind es Besitzansprüche, die das Kind geltend machen will, oft handelt es sich auch um Eifersucht oder Neid. Zusätzlich handeln Kinder meistens nach dem Motto „Wie du mir, so ich dir“: Sie wollen ihren Schmerz vergelten, indem sie genau das machen oder sagen, was der oder die andere auch gemacht oder gesagt hat. Dabei gehen die Kinder davon aus, dass die Handlung der Konfliktpartei dieselben Gefühle zufügen wird, die sie selbst spüren.
Am Ende geht es in jeder dieser Situationen um die eigenen Bedürfnisse. Sei es das Bedürfnis nach Besitz, nach Anerkennung oder einfach nur danach, dass das andere Kind versteht, wie schlecht man sich behandelt fühlt. In Streitsituationen lernen deine Kinder also, wie sie ihre Bedürfnisse formulieren können, damit diese am ehesten erfüllt werden. Mit der Zeit verstehen sie, dass es nicht immer eine Handgreiflichkeit oder große Lautstärke braucht. Sie üben, auf angemessene Art und Weise auszudrücken, wie sie sich fühlen und was sie brauchen. Im späteren Leben sind das essenzielle Fähigkeiten.
Streit zwischen Geschwistern: Von Rangordnung und Identität
Zwischen Geschwistern sind die Streitigkeiten oft häufiger und erbitterter als zwischen Freunden oder zwischen dir und deinem Kind. Das ist völlig logisch, immerhin verbringen sie viel mehr Zeit miteinander. Vor allem die Eifersucht spielt hier eine große Rolle. Es kann dabei darum gehen, dass die Geschwister um deine Zuwendung und Anerkennung kämpfen. Es kann aber auch ein Kräftemessen sein, bei denen deine Kinder sich miteinander vergleichen – und mit dem Ergebnis meistens unzufrieden sind.
Hinzu kommen die durch den Altersunterschied vorprogrammierten Konflikte. Die meisten Eltern ermahnen das ältere Kind dazu, vernünftig zu sein. Wenn das jüngere Kind das erst mal verstanden hat, wird es diese Gabe ausnutzen. Dann provoziert es den älteren Bruder oder die ältere Schwester so lange, bis er oder sie endlich austickt. Es kann dann beobachten, wie die Eltern einschreiten und das ältere Kind ausschimpfen. Gerade für kleine Kinder ist dieses Bild sehr verlockend: „Ich kann tun, was ich will, und mein Bruder oder meine Schwester bekommt dafür die Probleme“.
Meistens reduzieren sich die Konflikte zwischen den Geschwistern, je älter sie werden. Das kann zum Einen daran liegen, dass sich die Interessen in der Pubertät verschieben. Plötzlich sind der neue Schwarm oder die Musik viel wichtiger als das, was der kleine Bruder gesagt hat. In anderen Fällen streiten sich die Geschwister im Jugendlichenalter nur noch mehr, weil sie jetzt ihre eigene Identität verstehen und definieren. Das geht am besten, indem sie sich gegen andere behaupten. Aber auch hier wird das Problem durch die räumliche Distanz verschwinden, wenn das erste Kind ausgezogen ist.
Kinder vertragen sich schneller wieder als Erwachsene
Natürlich ist der ständige Streit trotz seiner großen Bedeutung anstrengend für dich als Elternteil. Zum Einen ist es nicht gerade einfach, den Lärm auszuhalten. Zum Anderen kommen schnell Ängste auf: Was, wenn sich beim Hauen doch jemand ernsthaft verletzt? Aus diesem Grund kommen die meisten Eltern zu einem schnellen Schluss: Streit zwischen den Kindern zu verhindern, ist erstrebenswert.
Tatsächlich ist das nur die halbe Wahrheit. Es ist natürlich wichtig, dass du einschreitest, wenn es eine Verletzungsgefahr gibt oder die Situation zu eskalieren droht. Auf der anderen Seite können deine Kinder ihre Konflikte aber sehr viel besser lösen, als du vielleicht glaubst. Denn den besten Umgang mit Problemen lernen sie dadurch, dass sie eine Lösung dadurch finden – ganz allein. Zudem geht es Kindern meistens nicht darum, den „Schuldigen“ zu finden und zu strafen, so wie es die Erwachsenen handhaben würden.
Denn Kinderstreit entsteht nur selten aus wirklichen Schwierigkeiten, sondern eher aus banalen Meinungsverschiedenheiten. Deshalb müssen deine Kinder nach dem Streit nicht viel reden oder sich entschuldigen, sondern sich bloß einig sein, dass sie sich wieder vertragen wollen. Für viele Kinder ist das Ende des Streits sogar schon identisch mit der Versöhnung. Dann heißt es „Wollen wir uns wieder vertragen?“ und alles ist wieder in Ordnung. Manchmal lässt das einen ziemlich verwirrten Erwachsenen zurück, in jedem Falle aber zwei Kinder, die etwas gelernt haben.